Zum Abschied sag‘ ich leise „Servus…“: die Sache mit den Abschieden, Verlusten, der Trauer und dem Labyrinth

Ich springe ein wenig… habe ich im letzten Artikel geschlossen mit Anlaufstellen für (Tiermedizin-) Menschen in akuter Belastungssituation, möchte ich heute einmal  Trauer und Verlustschmerz im Allgemeinen ein wenig unter die Lupe nehmen.

 

Wenn wir mit Abschied und Verlust konfrontiert werden – egal, aus welchen Gründen ein wichtiger Teil unseres Lebens auf einmal wegfällt, dann empfinden wir eine Leere oder Lücke in unserem Leben. Ob die Kindergartenfreundin unseres 4Jährigen umzieht, sich eine Freundesgruppe nach dem Schulabschluss in alle Winde verteilt, die betagte Omi verstirbt, eine Partnerschaft in die Brüche geht, oder eben ein geliebtes Haustier stirbt – alle diese Verluste ziehen Veränderungen in unserem Leben nach sich, die sich unterschiedlich tiefgreifend bis schmerzlich anfühlen können. Es gibt auch noch ganz andere Formen von Verlusten, die uns herausfordern: dies kann eine Diagnose einer (chronischen) Krankheit sein, oder der Abschied von bestimmten Vorstellungen und Träumen, die wir lange gehegt haben.

Ein Beispiel aus meinem echten Leben mit wirklich Kinderkram-Abschied, aber damals für mich erst mal zu schlucken: ich liebe rosa, und ich liebe alles, was auch nur im entferntesten rosa ist, also auch Ballett und so (nicht pink – Barbie kam für mich nie in Frage, dank meiner gesellschaftlich-gendermäßig schon damals sehr fortschrittlich denkenden Eltern…). Dann kam meine süße, kleine, damals noch-nicht-Veti-Tochter auf die Welt, und ich fand mich alsbald in einer kleinen Ballettboutique wieder, aus deren Regalen an allen Ecken Tutus in allen möglichen Cakepop-Farben quollen, und ihr zauberhafte rosa Ballettschläppchen, ein rosa Anzügelchen mit Röckchen, eine weiße Strumpfhose und ein rosa Wickeljäckchen aussuchen. Hach! Das einzige Problem war, das dieses süße rosa Mädchen zwar zauberhaft aussah, wie sie so durch den Ballettsaal tippelte, aber nach ein paar Stunden die Freude und Neugierde an dieser neuen Zuckerwattewelt verlor, und es von Woche zu Woche anstrengender wurde, sie hierfür erst aus der Matschgrube hinter dem Haus holen und grundreinigen zu müssen, bevor ich sie in diese Klamöttchen stecken konnte. Und kaum waren wir wieder daheim, ist sie am liebsten ohne sich vorher wieder umzuziehen nach draußen abgedampft, um sich die geschrubbten Fingernägelchen schnell wieder in Erde schmutzig zu machen. 

Kurzum: es war MEIN WUNSCH, dass sie eine rosa Ballettmaus sein sollte, und nicht ihrer. Für mich bedeutete dies, von einem lange gehegten Traum, der sicherlich schon Gestalt annahm, bevor sie überhaupt auf die Welt kam, Abschied zu nehmen.

Natürlich möchte ich so eine Situation nicht mit „richtiger“ Trauer auf eine Stufe stellen. Aber ich möchte damit zeigen, dass Abschiede – von Träumen, Ideen, Visionen, Überzeugungen, aber auch von Menschen und eben auch Tieren – in all ihren Spielarten ein Teil unseres Lebens sind. Und unsere Kompetenz, mit diesen Abschieden umzugehen, wird mitbestimmt und entwickelt von unseren vielen, vielen Abschieds- und Verlusterfahrungen seit unserer frühen Kindheit, und wie wir es eben gelernt haben, damit zurechtzukommen. Außerdem bringen wir alle auch mehr oder weniger stabile Persönlichkeitsmerkmale mit, die unsere Fähigkeit, mit Belastungen umzugehen, genannt Resilienz, beeinflussen. Es liegt auf der Hand, dass ein grundoptimistisch eingestellter Mensch sich eher auf die positiven Seiten auch eines Verlustes fokussieren kann (das kann z.B. Dankbarkeit für das, was war, aber auch eine ggfs. mit dem Verlust empfundene Erleichterung sein). Eher schwermütigen Menschen wiederum fällt es schwerer, in all dem Traurigen auf das Schöne zu blicken.

Hinzu kommt die Schwere eines Verlustes, und da wird es wieder sehr individuell. Denn selbst wenn mehrere Menschen ein und dieselbe Situation erleben, so erleben sie diese Situation jede und jeder für sich sehr persönlich, geprägt von ihrer Persönlichkeit und Biographie, und damit individuell. 

Wir haben für Wahrnehmungen, Gefühle und deren Einordnungen keinen objektiven Maßstab, und daher gibt es auch keinerlei Grund, diese von außen als „richtig und angemessen“, oder aber als „vollkommen überzogen oder sonstwie unangemessen“ zu beurteilen. Das gilt eben auch und gerade für Trauer, Verlust und den hieraus empfundenen Schmerz.

Trauer verläuft nicht linear, sondern wellenförmig. Trauer ist nicht in jedem Moment, in jeder Phase gleich aufdringlich. Trauer ist hinterfotzig und ein AXXXX. Sie kommt langsam und unausweichlich auf dich zu, oder sie springt dich an und reißt dich um. Manchmal auch von hinten, und wenn du es am wenigsten erwartest. Das macht sie so fies, diese Unberechenbarkeit.

Eine mit nahestehende junge Frau, selbst durch einen schrecklichen Schicksalsschlag mit Trauerschmerz mehr als vertraut, hat mal zu mir gesagt: „Meine Trauer ist wie ein Labyrinth. Ich lebe mein Leben in diesem Labyrinth, und weiß oft gar nicht, wie weit ich von der Mitte weg bin, in der sie sitzt. Manchmal biege ich um eine Ecke, und bin vollkommen überrascht, dass sie auf einmal so nah ist. Sie erschreckt mich, aber wirklich weglaufen kann ich nicht.“

Und oft sind auch überraschend viele Wände zwischen uns und unserer Trauer. Und: wir dürfen darauf vertrauen, dass wir uns im Laufe der Zeit immer weniger erschrecken lassen von ihr, dass wir ihr wissend zunicken, wenn sie auf uns zukommt, und sagen: da bist du ja wieder. Ich kenne dich inzwischen. Du machst mir zwar Angst, aber immer weniger, und ich weiß, dass du auch wieder gehst, wenn ich dich genug angeschaut habe. Bis du dann das nächste Mal wieder kommst. Aber da wirst du bereits etwas kleiner sein, vielleicht auch ein wenig schmächtiger. Vielleicht auch wieder stärker, Aber meine Richtung stimmt. Du wirst vielleicht immer meine Begleiterin sein, aber immer weniger Bestimmerin.

Trauerschmerz ist unglaublich anstrengend. Daher ist es extrem wichtig, sich selbst gut zu versorgen und auch Auszeiten von der Trauer zu gönnen. Kinder machen uns das vor:

Es gibt das Bild, dass die Trauer von Kindern ist wie Pfützen Springen. Die Kinder springen in ihren Schmerz rein wie in eine Pfütze, machen sich von oben bis unten klatschnass, und wenn es genug ist, springen sie raus aus der Pfütze, schütteln oder trocknen sich ab, ziehen sich trockene Klamotten an und laufen weiter. Bis die nächste Pfütze kommt, die sie magisch anzieht. 

Mein großer Sohn hat schon als kleiner Junge in schweren, traurigen Situationen dann für mich urplötzlich gesagt: „So, genug jetzt damit.“ Und sich wieder schönen Dingen zugewandt. Wow. 

Es gibt Menschen, die recht bald nach einem Verlust (scheinbar) wieder zu ihrem alten Leben zurückfinden. Das ist bewundernswert, wenn sie es hinkriegen, die Trauerphasen zuzulassen, zu durchleben, und sich dann wieder eine Auszeit von der Trauer gönnen, in der sie sich mit „ganz normalen“ Dingen – die bestenfalls sogar Freude machen – beschäftigen. 

Andere wiederum tun sich schwerer, aus den Trauerphasen rauszukommen.

Superwichtig ist, mit anderen Menschen darüber zu reden, was dich bewegt, und was dich bedrückt. Im Gespräch mit anderen erfährst du selbst auch immer wieder Neues über dich und deine Trauer, und das ermöglicht, dass du dich auf deinem Trauerweg weiterentwickelst. Und darum geht es: nicht zu erstarren, sondern immer wieder in Bewegung zu kommen, gedanklich, emotional und auch körperlich, auch wenn sich alles eher nach Liegenbleiben anfühlt.

Nächste Woche geht es weiter… wie ist das denn bei dir mit dem Abschied und der Trauer? Schreib mir gerne in den Kommentar!

P.S. Brauchst du Hilfe? Die findest du z.B. hier: https://www.telefonseelsorge.de/ Oder du wendest dich an mich oder einen Menschen, der dir nahesteht!

Also: es ist ABSOLUT angemessen, wenn du auch nach einem halben Jahr immer noch Phasen hast, in denen du deinen Hund so doll vermisst, dass du dich einfach nur verkrümeln und weinen möchtest. Dass dir immer wieder die Tränen kommen, wenn du an ihn denkst. Dass du das Bettchen immer noch nicht wegräumen konntest. Dass die Leinen immer noch an ihrem Haken hängen. Dass du immer noch jedes Mal erschrickst, wenn du heimkommst, und die Wohnung ist leer.

Du darfst trauern, wie du das möchtest. Aber: es ist wichtig, dass du auf dich achtest. Wenn du (oder eine dir nahestehende Person) also das Gefühl hast, dass die guten Momente so gar nicht mehr werden wollen, dass über allem eine Schwere liegt, und dass sich Gedanken aufdrängeln wollen, die irgendwie von Sinnlosigkeit und Perspektivlosigkeit erzählen… aller, allerspätestens dann wäre es gut, wenn du dir Unterstützung suchst. 

Gerne bei mir, wenn du möchtest, aber natürlich auch bei den Menschen in deinem Umfeld oder zum Beispiel hier: https://www.telefonseelsorge.de/

 

Wie ist das so bei dir und Verlust? Schreib mir hier in die Kommentare