Aber ich bin abgeschweift… und irgendwie auch nicht, denn die enormen Anforderungen bereits während des Studiums kosten viele zumindest ihren Traumjob, weil sie aufhören (müssen), oder aber zumindest zeitweise ihre körperliche und / oder seelische Gesundheit. Pausen, Essen, Schlafen? Oft Fehlanzeige. Scheitern? Part of the Game. Support? Vereinzelt.
Und jetzt wird‘s politisch, denn hier greift eine Dynamik, die wir aus vielen Bereichen kennen: „wenn ich das aushalten musste, dann müssen das die Jungen halt auch“. Es gibt also Dozenten und Prüfer, auch :innen, die unter den Vetis berüchtigt sind dafür, nicht auf Bestehen, sondern auf‘s Aussieben zu prüfen. Als Psychologin fällt es mir nicht schwer, dazu sofort eine Handvoll Hypothesen für die zugrundeliegenden Dynamiken zu entwickeln, und ehrlich gesagt landen sie da in Sachen integrer Persönlichkeit und Reife und Beitrag zu Gemeinwohl zumindest diesbezüglich nicht auf den vorderen Plätzen. Bemühen wir auch noch die Philosophie, dann verstoßen sie gegen viele Maximen, die sie an sich bestimmt gerne für sich in Anspruch nehmen möchten: „Was du nicht willst, das man dir tu,…“ Und systemisch kann man das auch noch als einen Teil des großen Ganzen in der Welt der Tiermedizin betrachten. Zur Qualitätssicherung des Tiermedizinisches Nachwuchses trägt es vermutlich aber nicht bei, aber da lehne ich mich natürlich weit aus dem Fenster.
Natürlich sollt ihr Vetis ordentlich lernen und bitte gut vorbereitet in die Prüfungen gehen; ihr wollt ja schließlich auch mal richtig viel Verantwortung für Leben übernehmen, und das hat ja auch etwas mit Ernst nehmen und Respekt zu tun. Aber, liebe Vets, die lehren und prüfen: ihr könnt euch sicherlich auch noch daran erinnern, wie ihr das Studium so erlebt habt. Ihr wisst noch, welchen Prüfern ihr auf gar keinen Fall jemals (wieder) begegnen wolltet, und bei welchen ihr soviel Zutrauen hattet, dass ihr auch in der Stresssituation Prüfung gut an euer gesamtes Wissen und vielleicht noch mehr drankommen konntet. Stolz wart hinterher, zu Recht.
Das waren die, von deren Art es auch heute noch Vertreter:innen gibt, und die bei meiner Veti-Tochter und unzähligen anderen Riesensteine im Brett haben: die von ihren eigenen (Fehl-)Versuchen während des Studiums erzählen und Mut machen, dran zu bleiben. Sogar mit Zweit- und Drittversuch in der Studi-Biographie kann man noch eine Professur bekommen, wenn man das will. Sogar in angenehmer Atmosphäre kann man die Vetis auf Herz und Nieren (haha!) prüfen und dazu beitragen, dass weiterhin enorm qualifizierter Vet-Nachwuchs in die Praxen und Kliniken gespült wird. Übermäßig viele sind es ja nicht, danke, deutsche Hochschullandschaft; auch ihr habt hier einen Bewerbermarkt, und Praxis- und Klinikleitungen können froh sein, alle Stellen gut besetzen zu können. Und wenn dann auch noch das Gesamtpaket stimmt, super, aber selten, wie ich aus Insiderkreisen erfahre. Das betrifft übrigens auch die Motoren der Praxen, die TMFAs.
Diejenigen, die als Arbeitgebende hier unterwegs sind, können ein Liedchen davon singen, dass es nicht einfach ist, „heutzutage“ guten Nachwuchs zu bekommen. Fachlich sind sie ja gut ausgebildet, die jungen Fleißigen, aber Eigeninitiative und Freude an Verantwortung und couragiertes Handeln und kompetente Kommunikation, auch den anspruchsvollen Kunden, den Tierhaltern gegenüber, scheint eher die Ausnahme zu sein.
Da könnten wir ja mal hinschauen, inwieweit die universitäre Ausbildung diese auf dem Arbeitsmarkt gewünschten Kompetenzen eigentlich fördert, oder eben doch eher abhängige Wissenscontainer heranzieht..? Eine gute Idee für einen Artikel an anderer Stelle, denke ich. Ich merke mir das Thema mal.
Vets haben als Berufsgruppe je nach einschlägigen Studien die höchste oder mit die höchste Suizidrate. Über ein Drittel der Krankheitstage gehen auf das Konto psychischer und mentaler Belastung (vgl. Morgen & Morgen, 04/2023). Da spreche bzw. schreibe ich mal an anderer Stelle mehr drüber. Leute, das darf nicht so bleiben… was das kostet!
Zaghafte Initiativen gibt es bereits, auch in Deutschland (www.vetivolution.org, ich hoffe, ich bekomme sie mal für ein Interview…), und auch ich habe mein flammendes Schwert gezückt und ziehe aus Leidenschaft und Überzeugung auf meinem Ross in diese Schlacht. Mit Artikeln wie diesem hier, mit Webinaren, mit Projekten in Tierärztlichen Praxen und Kliniken, die die Warnschüsse hören und nicht weitermachen wollen wie bisher.
Aber was ist mit den Vetis? 2022 kam eine Studie unter fast 1000 Tiermedizin-Studierenden in Deutschland zu dem Ergebnis, dass sie jeweils im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein 22,1faches Risiko haben, an Depressionen zu erkranken, ein 4faches Risiko, Suizidgedanken zu entwickeln, und ein 4,2faches Risiko, diesen Suizid auch tatsächlich zu begehen (Schunter N, Glaesmer H, Lucht L, Bahramsoltani M (2022) Depression, suicidal ideation and suicide risk in German veterinary medical students compared to the German general population. PLoS ONE 17(8): e0270912.) BÄMM!
Nur die Harten kommen in den Garten… in welchen Garten denn bitte?
An dieser Stelle: solltest du als Veti oder was auch immer auch nur den Verdacht haben, du könntest unter Depressionen leiden oder Suizidgedanken sich in dein Hirn einschleichen wollen: deine Gedanken sprechen NICHT die Wahrheit, und BITTE bleib damit nicht alleine, sondern hol dir Hilfe – zum Beispiel hier:
www.hilfe-in-der-krise.de
Ein Projekt der ARCHE, mit schnellen und umfassenden Hilfsangeboten und Kontakten für Jugendliche und junge Erwachsene – auch für diejenigen, die jemanden kennen, die oder der gefährdet erscheint.
Außerdem bietet DIE ARCHE, ein gemeinnütziger Verein zur Suizidprävention und Hilfe in Lebenskrisen, ein umfassendes Hilfsangebot auch für Erwachsene. Klick hier, oder bitte einen dir nahestehenden Menschen, sich für dich dort hinzuwenden: www.die-arche.de
Das ist wirklich spannend: auch wenn ich mir natürlich vorher überlege, worüber ich schreiben möchte: quasi unterwegs ergeben sich so viele neue Themen, die mega spannend und absolut wert sind, sich damit zu beschäftigen.
Ich bin sicher, auch bei dir entsteht beim Lesen so Einiges – lass es mich wissen!