Sarahs Kinder sind 9 und 11 Jahre alt. Lange Zeit hatten sie sich einen Hund gewünscht und waren überglücklich, als Loki schließlich bei ihnen einzog. Altersangemessen nahm ihre Beteiligung an der täglichen Fürsorge zwar mit der Zeit doch etwas ab, aber die Spiel- und Kuschelzeiten genossen sowohl Loki, als auch die Kinder sehr.
Sarah hatte es ja sofort davor gegraut, den Kindern sagen zu müssen, dass Loki verunglückt und nicht mehr am Leben war. Und dann ging es ja auch noch irgendwie um Sarahs Beteiligung an dem Unglück.
Schauen wir uns zunächst an, was der Verlust für die Kinder bedeutet, bzw. wie Kinder den Tod begreifen. Die Kinder sind zwar ähnlich alt, aber gehen dann doch ihrem Entwicklungsstand entsprechend ein wenig unterschiedlich damit um.
Wichtig ist hierbei zu berücksichtigen, dass viele Faktoren (bisherige Erfahrungen damit, Umgang der Kernfamilie mit dem Tod, kulturelle und religiöse Zugehörigkeit etc.) dafür verantwortlich sind, dass Kinder einen vollkommen unterschiedlichen Bezug hierzu haben und ebenso das Verständnis von und den Umgang mit dem Tod beeinflussen.
Kinder und der Tod
Um eine Vorstellung vom Tod und seiner Endgültigkeit zu haben, ist der Zeitbegriff wesentlich. Je jünger ein Kind ist, umso weniger versteht es den Tod als etwas Unwiderrufliches.
Babies und Kleinkinder erleben Menschen und Dinge als „da“ oder „nicht da“. Die sogenannte Objektpermanenz, also jemand oder etwas existiert weiterhin, auch wenn ich es nicht sehe, entwickelt sich erst gegen Mitte bis Ende dieser Phase fertig. Dies bedeutet, dass ein Trauerzustand oder Verlustschmerz häufig im Moment des Verschwindens auftritt, und wenn das Bindungssystem aktiv ist und das Kind die gewohnte Nähe und Zuwendung sucht. Die Kinder empfinden bereits Unbehagen über den Verlust von alltäglichen Gewohnheiten.
Kindergartenkinder bringen den Tod eher mit einem schlafähnlichen Zustand in Verbindung, der auch wieder rückgängig gemacht werden kann. Die Vorstellung, selbst sterben zu können, ist noch nicht möglich.
Grundschulkinder haben bereits ein grundlegendes Zeitverständnis entwickelt. Sie leben in einer zeitlichen Struktur und verstehen, so wie Sarahs Kind mit 9 Jahren, den Rhythmus von Tag, Woche, Monat und Jahr zunehmend besser und selbstverständlicher.
Sie verstehen den Unterschied zwischen lebendig sein und tot sein. Allerdings haben Kinder in diesem Alter in der Regel noch kein explizites Verständnis vom Tod. Wo geht der Mensch oder das Tier hin, wie geht er da hin, was von ihm, und wie ist es dort? Kinder in diesem Alter zeigen häufig eine großes neugieriges Interesse für den Tod.
Darüber hinaus stehen sie erst an oder kurz nach der Schwelle des Übergangs in ein Selbstverständnis von sich als eigenständiger Person, die losgelöst von anderen und der Welt, aber als ein Teil von ihr besteht. Die bisherige starke Abhängigkeit von und Identifikation mit den Bezugspersonen hat sich bereits etwas gelockert.
Hieraus ergibt sich, dass das Kind von dem, was es erlebt, also hier vom Tod des geliebten Haustieres, einen Bezug zu sich selbst herstellt. Der Tod als solches kann als „böse“ betrachtet und auch als Strafe für Fehlverhalten – eigenes, fremdes oder hier eventuell für das von Loki selbst – wahrgenommen werden. Verlustschmerz kann als übermächtig empfunden werden.
Hierdurch kommt für das jüngere Kind auch Sarahs Beteiligung an Lokis Tod spezielle Bedeutung zu.
Mit Beginn der Pubertät entwickeln Kinder ein Verständnis für die Endgültigkeit und Unumkehrbarkeit des Todes und bringen dieses in Verbindung mit den Empfindungen, die sich hieraus ergeben, für sie selbst, aber auch für andere.
So erleben sie in Abhängigkeit von der Schwere des Verlustes intensive Trauerzustände, in denen sie sich häufig auch mit Fragen nach dem Sinn des Lebens und Sterbens konfrontiert sehen.
In einer Zeit, in der eine zentrale Entwicklungsaufgaben die ist, zu einer eigenen Identität zu gelangen, also eine Idee von sich in dieser Welt, den eigenen Werten und Besonderheiten, Fähigkeiten und auch Schwächen, kann ein Verlust besonders schwerwiegende Verunsicherung und tiefgehende Erschütterung auslösen.
Kindern den Tod erklären
Aus den verschiedenen Entwicklungsphasen ergeben sich somit auch in Bezug auf den Umgang mit dem Tod unterschiedliche hilfreiche Arten, mit Kindern über den Tod zu sprechen. Maßgeblich sind hier – wie übrigens in jeder Kommunikation mit Kindern – IMMER die Bedürfnisse und Möglichkeiten des Kindes in Bezug auf das Thema. Also geht es auch hier darum, IMMER erst einmal genau zuzuhören, BEVOR ich antworte und anfange, zu erklären.
Kinder sind die größten Ehrlichkeits-Spürnasen überhaupt. Also ergibt Lügen und Drumherum-Reden überhaupt keinen Sinn, im Gegenteil, es verunsichert Kinder zusätzlich.
Das bedeutet, dass ich, wenn ich mit meinem Kind über den Tod spreche, vorher und währenddessen unbedingt auch meine eigenen Gefühle und Gedanken zu diesem Thema für mich erforsche. Und sie altersgerecht mit meinem Kind teile, damit es verstehen kann, wie es mir damit geht. Das bedeutet nicht, dass ich meinem Kind wie einem erwachsenen Menschen oder einem Therapeuten alles sage, aber wenn es mich traurig oder sprachlos macht, dann sage ich auch, dass ich furchtbar traurig bin und im Moment gar nicht so genau weiß, was ich dazu sagen soll, aber dass ich versuchen will, alle Fragen zu beantworten und zu sprechen, weil es gut und wichtig ist, darüber zu reden, was uns bedrückt.
Die Grundbotschaft ist sicherlich, dass Sterben ein Teil unseres Lebens ist. Üblicherweise passiert es erst nach einem ganz langen und hoffentlich glücklichen Leben, aber manchmal – so wie bei Loki – passiert es auch viel zu früh, und manchmal auch auf ganz schlimme Weise.
Sterben geht nicht mehr weg, und wir leben jetzt ohne unseren Hund weiter. Das ist furchtbar traurig. Wie gut, dass wir uns haben und gemeinsam traurig sein und uns gegenseitig trösten können. Niemand von uns ist allein.
Wichtig ist es, einfache Worte und kurze Sätze zu verwenden, und die Dinge zu sagen, wie sie sind: Sterben ist sterben, und tot sein ist tot sein: Loki ist nicht „dahingegangen“, „heimgeholt worden“oder so, und er „schläft jetzt auch nicht für immer“.
Warum? Weil dies in der Phantasie unserer Kinder, die sich ihre Welt je nach Alter noch recht magisch und mystisch vorstellen, viel Raum aufmacht für unterschiedlichste Wege, aufzuhören, zu leben. Die Konfrontation mit dem Tod, damit, dass Leben plötzlich vorbeisein kann, verunsichert. Ängste vor dem Einschlafen, weil das ja auch auf einmal für immer sein könnte, oder die Frage, wo wir eigentlich zu Hause sind, wenn der Mensch oder das Tier „nach Hause gegangen“ ist und daraus resultierende Verunsicherung könnten sonst die Folgen sein.
Bei Loki könnte es so sein, dass Sarah oder der Papa der Kinder ruhig schildern, dass Loki sich durch das angelehnte Gartentor nach draußen gezwängt hat und leider unmittelbar auf die Straße gelaufen ist, auf der in diesem Moment ein Auto kam. Und dass der Fahrer leider keine Chance mehr hatte, rechtzeitig zu bremsen. Dass Loki mit dem Auto zusammengestoßen ist und sofort tot war. Dass er es selbst gar nicht richtig mitbekommen hat und deshalb auch keine Angst hatte und keine Schmerzen. Sondern aus seiner Abenteuerlust und Freude heraus leider bei diesem Unfall gestorben ist.
Kindgerechte Abschiedsrituale
Wenn es möglich ist und die Umstände es zulassen, sollten Kinder meiner Meinung nach die Möglichkeit haben, sich von dem toten Tier zu verabschieden, wenn und wie sie es selbst möchten.
Bevor ich zur Frage komme, ob Kinder das tote Tier sehen und anfassen sollten, ein paar Gedanken rund um Abschiedsrituale. Sicherlich werde ich hier aber nochmal einen eigenen Artikel schreiben.
Auf die Schnelle: alles, was Kindern hilft, ihre Gedanken und Gefühle in Bezug auf ihr geliebtes Tier und seinen Verlust auszudrücken, ist ein hilfreiches Abschiedsritual. Das kann ein kleines Bildchen oder ein paar geschriebene Zeilen sein, ein bemalter Stein oder etwas Gebasteltes.
Als unsere Dogge Hope starb, hat unser damals 4jähriger Mini-Sohn richtig Glück gehabt: bei seinem Freund und dessen Mutter stand für den Tag Salzteig Basteln auf dem Programm. Unser Mini-Sohn durfte mitmachen, und alle haben gemeinsam schöne Herzen aus dem Salzteig ausgestochen, bemalt und beglitzert. Diese haben wir dann zunächst auf der toten Hope abgelegt und ihr am Abend mit ins Krematorium gegeben. Außerdem fanden kleine Feder- und Glöckchen-Engelchen, die wir zu Weihnachten gebastelt hatten, ihren Weg zu ihr aufs und ins Grab, um sie in den Hundehimmel zu begleiten. Ein paar Herzen und Engelchen sind auch bei uns geblieben und erinnern uns heute noch im Wohnzimmer an diesen traurigen, schönen Abschied von diesem wunderbaren Hund.

Soll mein Kind unser totes Tier sehen?
Die Angst, dass es das Kind traumatisieren könnte, das tote Tier zu sehen, halte ich bei einem äußerlich weitgehend unversehrten Körper für unbegründet. Auch hier gilt, sich selbst zu erforschen: habe ich schon einmal einen toten Körper gesehen? Wie war das für mich? Habe ich große Angst, das tote Tier zu sehen, und dass mir die Bilder nicht mehr aus dem Kopf gehen werden?
Was ist dran an diesem Standard-Satz: „Behalte es lieber so in Erinnerung, wie es war…“? Das mag bei einem verunfallten Tier, dass schlimme äußerliche Verletzungen erlitten hat, definitiv ein wichtige Überlegung sein. Wenn es allerdings „nur“ darum geht, den Tod von der Lebendigkeit abzugrenzen, glaube ich nicht, dass der Anblick des leblosen Körpers alle Erinnerungen an unsere Zeit mit dem lebendigen Tier löscht oder überschreibt. Vielmehr kann es ein Schritt zum Begreifen sein, dass das geliebte Tier wirklich nicht mehr atmet, sein Herz nicht mehr schlägt, und vielleicht trotzdem sehr friedvoll aussieht.
Ich denke, auch Kinder können, unabhängig vom Alter, das tote Tier sehen und auch anfassen, wenn sie dies möchten. Wenn möglich, sollten wir ihnen vorher beschreiben, was sie wohl sehen werden, um eventuell vorhandene Gruselgedanken zu beantworten.
Tote Tiere haben die Augen auf. Dies liegt daran, dass für den Lidschluss über den verhältnismäßig großen Augapfel Muskelspannung notwendig ist, die nach dem Tod nicht mehr besteht. Die Augäpfel trüben recht rasch ein; es ist offensichtlich, dass das Auge nichts mehr sieht. Der Blick ist leer.
Manche Kinder haben den Impuls, das tote Tier noch einmal anzufassen, zu streicheln. Gut ist es, ihnen vorher bereits zu sagen, dass das Fell zwar noch genauso weich ist, sich das Tier jedoch nicht mehr warm anfühlt. Je nachdem, wie lange das Tier bereits tot ist, ist der Körper steif oder entspannt. Die Totenstarre setzt etwa 30 Minuten bis 3 Stunden nach dem Tod ein und hält bis zu 72 Stunden an.
In Sarahs Fall bedeutet dies, dass sie Loki schön und liebevoll ein wenig eingekringelt hinlegen kann, vielleicht in sein Bettchen, und er dort bleiben kann, bis die Kinder zwei, drei Stunden später nach Hause kommen.
Bei sehr warmem Wetter kann es sein, dass der Körper nach wenigen Stunden beginnt, einen Geruch zu entwickeln. Außerdem tritt aus den Körperöffnungen Flüssigkeit aus.
Es besteht aber kein Grund zu einer überstürzten „Entsorgung“, sondern die Familie kann in Ruhe von Loki Abschied nehmen und gemeinsam entscheiden, was mit seinem Körper passieren soll.
Über die verschiedenen Möglichkeiten habe ich bereits einen Blogartikel geschrieben, den du hier findest.
Wieviel Trauer ist "normal"? Woran erkenne ich, dass mein Kind therapeutische Hilfe braucht?
Nächste Woche schauen wir uns an, woran wir erkennen, ob unser Kind noch vollkommen „normal“ trauert, und ab wann wir uns um professionelle Hilfe kümmern sollten.
Contentwarnung
Die Schilderung von echten Fällen kann starke Gefühle auch beim Lesen auslösen oder dich an eigene schlimme Erlebnisse erinnern. Wenn du merkst, es wird dir zu viel, unterbrich bitte und suche dir Beistand.
Gerne bei mir, wenn du möchtest, aber natürlich auch bei den Menschen in deinem Umfeld oder zum Beispiel hier: https://www.telefonseelsorge.de/
Wenn du dir nicht so ganz sicher bist, dass das alles noch in einem gut handelbaren Rahmen abläuft, oder du jemanden kennst, bei der oder dem du das vermutest – oder ihr in eurer Beziehung da vollkommen unterschiedlicher Meinung seid: Ich veranstalte regelmäßig online-Themenabende für Tierhalter zu verschiedenen Themen. Darunter ist auch einer, in dem es sich genau hierum dreht. Schau mal rein: