
Was sage ich den Menschen bloß, wenn ich ihnen das leere Halfter bringe..?
Meine Veti-Tochter, Tiermedizin-Studentin im 9. Semester, ist gerade von ihrer Spätschicht als Famulantin in einer großen Pferdeklinik nach Hause gekommen und lässt sich erschöpft neben mir aufs Sofa fallen. Ich freue mich immer, wenn sie mir von ihrer Arbeit dort erzählt, und sie genießt hin und wieder, ein Stück ihrer emotionalen Belastung nach schweren Situationen im dortigen Klinikalltag im Gespräch mit mir einzuordnen und loszuwerden. Sonst stöhnen meine Kinder häufig über die Zumutung, mit 2 Psychologen zusammenleben zu müssen – mein Mann ist ebenfalls in dieser Bubble unterwegs. Aber manchmal wissen sie doch auch die Vorteile zu schätzen; in Momenten wie diesem zum Beispiel.
„Magst‘ erzählen..?“ ist meine Einladung an sie, ihre Erlebnisse mit Mensch und Tier in der Schicht mit mir zu teilen. „Sie haben noch nicht mal vorher angerufen, sondern kamen direkt in die Klinik…“ beginnt sie. Ich liebe es, immer, weil ich Tiere und meine Veti-Tochter liebe, und fast platze vor Glück, dass sie machen darf, was sie macht.
Allerdings: es war bereits zu Schulzeiten klar, dass sie sich einen richtig harten Job ausgeguckt hatte, der wenig mit Playmobil oder Schleich Tierarztpraxis-Spielwelten und niedlichen Kitten oder Welpen zu tun hat.
Traumberuf Tierarzt / Tierärztin?
Traumberuf Tierärztin, seit dem Kindergarten. Das riesengroße Glück, direkt nach dem Abi einen Studienplatz in München, unserer Heimatstadt, zu bekommen. Unfassbare Anstrengungen, irgendwie auch für mich und den Rest der Familie, durch diese verflixte Physikum zu kommen. Seitdem ist es gefühlt (für mich von außen betrachtend zumindest) etwas leichter geworden, aber fordernd ist dieses medizinische Studium auf allen Ebenen: mental, körperlich und emotional. Und damit meine ich nicht nur die Medi-Meisterschaften und Partys ;-). Der obligatorische studentische Nebenjob als Famulantin lässt hineinschnuppern in das, was einmal ihr Berufsalltag sein soll, wenn es nach ihr geht. Ein echter Knochenjob, egal, ob in einer Kleintier- oder Pferdeklinik. Ganz zu schweigen von den Nutztieren – Schweine zum Beispiel schreien wohl ziemlich laut, wenn sie auch nur irgendwie die Vermutung haben, es könnte ihnen ein Härchen gekrümmt werden, hat mir der Pferde-Tierarzt unseres Vertrauens mal erzählt.
Nachdem Hunde von klein auf zum Leben meiner Veti-Tochter gehören, hat sie selbst schon mehrfach erlebt was es heißt, von einem Tier Abschied zu nehmen. Die Aufs und Abs des Erwachsen Werdens meistert sie seit ihrem 12. Lebensjahr mit Hilfe ihres Oldenburger Wallachs – auch die seines Erwachsen Werdens, denn er war 4jährig, als wir uns begegnet sind. Und natürlich ist die Vorstellung des irgendwann, hoffentlich ganz, ganz spät kommenden Abschiedes von unserem Pferd eine schreckliche, die sich aber insbesondere nach unglücklichen Verläufen in der Klinik ganz fies in ihre Gedanken und Gefühle quetscht.
So höre ich also immer gespannt zu, was meine Veti-Tochter für Geschichten erlebt, freue mich mit ihr über Happy Ends, und werde ganz wach und aufmerksam, wenn die Geschichten traurig enden, weil etwa ein Pferdeleben in der Klinik – oft tragisch – zu Ende geht. Frage immer nach, was sie glaubt, wie die Pferdemenschen den Abschied von ihrem Tier erlebt haben, was es ihnen wohl leichter gemacht hat, was schlimm war, und was hätte besser sein können. Und frage auch nach ihr und den Kollegen, in deren Kreis sie natürlich die bunte Mischung vorfindet, die halt eben so überall herumläuft. Viele freundlich, zugewandt, kollegial, hilfsbereit und auch in stressigen Situationen höflich; ohne die ginge echt gar nichts, und die tun einfach gut und Zusammenarbeit macht Spaß. Dann so der „Durchschnitt“ an Mitmenschen, und schlußendlich auch diejenigen, denen es sowohl an guter Kinderstube als auch an sozialen Skills zu fehlen scheint, oder vielleicht verstecken sie einfach auch nur gekonnt, dass sie beides doch mitbekommen haben. Oder reservieren beides für besondere Gelegenheiten. Die gibt’s halt auch. Ich gebe zu, ich mische mich ziemlich ein – ich möchte aus meiner großen Leidenschaft für meinen Beruf und für meine Veti-Tochter heraus etwas dazu beitragen, dass auch sie für ganz viele Menschen eine gute Begleiterin beim Abschied von ihrem Tier wird, eine loyale und verlässliche Kollegin und Mitarbeitende, mit der gemeinsam es Spaß macht, Pferde nicht zu stehlen, aber vielleicht zu heilen. Und dass sie gesund bleibt an Leib und Seele.
Die Uni, der Nebenjob und die vielen Vets, mit denen sie auf diesem Weg in Kontakt kommen darf, sorgen für eine gute Ausbildung, was medizinisches Know-How, Umgang mit dem Tier, Möglichkeiten und Grenzen in der Behandlung etc. angeht.
Aber ehrlich gesagt: das, worum es mir unter anderem geht: der Umgang und die Kommunikation mit den Menschen (AKA Patienbestitzer), deren Tiere wiederum für sie so unglaublich wichtig sind, die vielleicht krank oder verletzt sind oder sogar sterben müssen – dieser Raum bleibt in der Ausbildung irgendwie unbesetzt. Natürlich gibt es etwas zur Kommunikation, z.B. mit Tierhaltern, die unzufrieden sind oder ihre Rechnung nicht bezahlen (wenn TMFA im Gespräch bereits erfolglos war). Man kann auch nachlesen, dass man Tierhalter für die Euthanasie am besten zum Ende der Sprechstunde einbestellt, damit man keine Probleme bekommt, wenn der Behandlungsraum lange besetzt bleibt, weil manche Tierhalter viel Zeit brauchen, um sich von ihrem Tier zu verabschieden. Und dass die Situation (Überraschung!) für alle Beteiligten in ruhiger Atmosphäre und bei eher leerem Wartezimmer dann doch besser zu verdauen ist. Aber so richtig gibt es keine Ausbildung in Sachen achtsamer Begleitung der Tierhalter – genauso wenig wie in eine Ausbildung in achtsamer Selbstfürsorge, um sich vor den Belastungen zu schützen und psychische Widerstandsfähigkeit, genannt Resilienz, zu entwickeln.
Das ist nämlich die andere für mich relevante Seite: Menschen in der tierärztlichen Praxis oder Klinik sind nahezu täglich mental, physisch und psychisch am Limit. Dort, wo Krankheiten geheilt und Lebensqualität gesichert werden soll, braucht es vollen Einsatz. Wenig Zeit, genügend Pausen zu machen, zu essen, zu trinken und einfach mal auf die Toilette zu gehen. Jeder Tag hält Überraschungen bereit, die herausfordern. Und trotzdem reichen häufig alle Möglichkeiten nicht aus, und Leben geht zu Ende. Und dort, wo Leben zu Ende geht, herrscht eine ganz besondere Empfindsamkeit, eine Verletzbarkeit auch von denjenigen, die ihre Leidenschaft für Tiere in harten Jahren zu ihrem Beruf gemacht haben.
Bald geht’s los, mit der ersten Geschichte von Abschied und Verlust. Weil ich euch vorangehen möchte, erst mal direkt aus meinem Leben. Ich freu mich, wenn du dabei bist!
Herzlichst!
Deine Steffi

Gibt es einen richtigen Zeitpunkt?
Lasse, unser black & tan Cavalier King Charles Spaniel (ich weiß, inzwischen zu Recht als Qualzucht eingestuft; als wir uns diesen Winzling nach Hause holten, war das noch nicht der Fall, sondern wir hatten einen lustigen, lebhaften und liebevollen Hund gesucht und gefunden. Ich bitte also um Beruhigung), fing an einem schönen Maitag im Alter von 9 Jahren an, hin und wieder zu husten. Ein tiefer Husterer, bei dem er den Kopf auch etwas angestrengt drehte, aber nur hin und wieder eben dieser eine Husterer. Nachdem er sich schon jahrelang gerne mal geräuspert hatte, vor allem, nachdem er einen Riesenstein oder Stock, den er auf einer Gassirunde gejagt und mit nach Hause getragen hatte, endlich links vor der Haustür auf den stetig anwachsenden Berg aus Steinen und Stöcken gelegt hatte, dachten wir uns erst mal nicht viel dabei.
Nach ein paar Tagen, in denen diese Husterer zunehmend häufiger aufgetreten waren, ließen wir dann aber doch unseren damaligen Tierarzt unseres Vertrauens draufschauen, der dann recht schnell eine Ultraschall-Untersuchung durch einen Kardiologen veranlasste.
Den typischen Cavalierchen-Herzfehler, der bei ihm aber sehr geringgradig ausgeprägt war kannten wir, aber dann war da auf dem Bild noch etwas, das wir bislang noch nicht gesehen hatten und auch nicht sehen wollten: irgendeine mehrere Zentimeter große Masse im Brustkorb. Shit. Also für 2 Wochen später einen Termin in der Münchner Kleintier-Uniklinik gemacht, und tatsächlich baute er in diesen 2 Wochen ziemlich rapide und offensichtlich ab, was seinen allgemeinen Fitnesszustand betraf. Er war etwas schlapper, und dieses Husten, das immer mehr zu einem Würgen geworden war, war häufiger und irgendwie intensiver geworden.
Wir alle, die ganze Familie, kamen uns sehr fies vor, als wir ihn für die angeratene Punktion an der Leine an die unglaublich nette junge Tierärztin übergaben. Nach der Warterei, die sich ganz schön zog, bekamen wir ihn mit den Worten zurück, dass er so unglaublich tapfer gewesen sei – 3 Mal hätten sie punktiert, und er hätte die ganze Zeit vorbildlich stillgehalten. Mir kommen jetzt noch fast die Tränen, wenn ich daran denke.
Wir hatten mit ihm nie spezielles Medical Training gemacht – er war einfach so, dass er sich im Kontakt auch mit fremden Menschen vertrauensvoll und ganz hingab. So, wie er sich auch dem 45minütigen Jagen eines Krähenschwarms auf einem abgeernteten Feld hingeben konnte, die ihn entweder verar…. oder ihm vielleicht auch die größte Freude bereiteten, wenn sie ihn immer ganz nah herankommen ließen, bevor sie gemeinsam aufflogen und 20m weiter wieder gemeinsam landeten. Hach, da war er in seinem Element wenn er in sein Hin- und Her-Rennen vertieft war (so wie beim Schwimmen, was er ebenso exzessiv liebte). Und obwohl (oder weil) seine Ohren nur so flogen, drang kein Rufen, Locken und Schimpfen von uns in sein Ohr oder Hirn. Sehr süß und auch amüsant; für die Zuschauer dieses Spektakels jedenfalls.
Da hatte er also stillgehalten und den Tierärzten ihre Arbeit recht einfach gemacht, aber auf dem Heimweg wirkte er schon ganz schön mitgenommen.
Und ein paar Tage später kam der Anruf: sie war so lieb, diese Tierärztin mit dem entzückenden schwedischen Akzent, als sie mir eröffnete, dass karzinogene Krebszellen im Punkttat gefunden worden sei. Es bestünde die Möglichkeit, den einen Lungenlappen operativ zu entfernen und eine Chemo zu machen. Allerdings könne man so nicht genau sagen, wie der Tumor auch mit dem Herz verwachsen war. Im Nachhinein bin ich recht stolz auf meine Reaktion, die u.a. in der Frage bestand, von welcher Lebensqualität man grundsätzlich nach so einer OP ausgehen könne. Denn meine Vermutung war, dass ein etwa faustgroßes Karzinom vermutlich kein isoliertes Geschehen darstellte, sondern von Metastasen auszugehen war. Das war in der Tat auch die Vermutung der Tierärztin. Ich verabschiedete mich mit den Worten, dass wir als Familie nochmals darüber beratschlagen würden, ich allerdings aus dem Bauch raus nicht davon ausging, dass es für uns in Frage kommen würde, Lasse einer solchen Therapie für wahrscheinlich nicht viel, dafür auch nicht so schöne Lebenszeit auszusetzen. Und ihn fragen, was er gerne hätte, ging ja wohl nicht. Das war viel Verantwortung, die ich da gefühlt habe.
Mein Mann und ich haben natürlich darüber gesprochen und die verschiedenen Möglichkeiten durchgespielt. Aber Gott sei Dank waren wir uns recht einig. Wenigstens das, denn ein solcher Konflikt macht es ja noch um so vieles schwieriger, was eh schon unmenschlich schwer scheint.
Mit den Kindern, damals 16, 12 und 1 Jahr alt, sprachen wir sehr klar darüber, wie Lasses Situation war, und wie seine Chancen standen, seinen 10. Geburtstag 5 Monate später noch zu erleben – sehr schlecht.
Lasse und wir machten so gut es ging miteinander weiter – er spielte mit großer Freude, wenn mein 1jähriger Minisohn im Plantschbecken saß und ihn mit den Händchen nassspritzte: das beliebte Gartenschlauch-Wasserstrahl-Spiel in Lightversion. Außerdem sprang er nach wie vor zu meiner damals noch zukünftigen Veti-Tochter ins Bett und schnarchte und sabbelte ein wenig beim Schlafen in ihren Armen. Und er würgte immer wieder. So weit, so okay zumindest – bis er urplötzlich auch noch Durchfall bekam. Es war mitten in einer grandiosen Hitzewelle, und so hofften wir, dass die empfohlenen Cortison-Infusionen ihn wieder so fit wie vorher bekommen würden. Das bekamen sie tatsächlich auch zwischendurch, aber von Dauer war es nicht. Wir fragten unseren Tierarzt, was wir machen sollten, was er machen würde, wenn Lasse sein Hund wäre. Und, ob er zu uns nach Hause kommen würde, wenn es soweit sei, Lasse gehen zu lassen. Keine schöne Situation, auch für unseren Tierarzt nicht, und natürlich muss jeder Mensch da für sich seine Linie finden, die sich gut anfühlt. Also bekamen wir keinen Ratschlag, sondern die Meinung, dass es schon sein könne, dass der Durchfall wieder aufhört. Und die Infusionen halfen ihm ja wirklich, das konnten wir sehen. Ach ja: kein Hausbesuch für die Euthanasie, das Einschläfern. Aber schön gestaltet in der Praxis.
Wir waren noch am Hadern, dachten nur jeweils für den nächsten Tag, und so ein nächster Tag nahm uns dann auch die Entscheidung ab.
Die beiden großen Kinder in der Schule, ich gab ein Führungsseminar in München. Lasse lief noch zu Fuß in die Praxis hinein für die nächste Infusion und machte wie immer toll mit beim Zugang Legen. Mein Lieblingsmann ging in der Zwischenzeit mit dem Minisohn im Kinderwagen eine Runde spazieren. Als er zurückkam, war Lasse tot. Gestorben während der Infusion, die ihm nochmals ein wenig Erholung und Besserung hätte schenken sollen. Ganz alleine, ohne einen von uns bei sich zu haben. Oh Mann, das ist über 7 Jahre her, und ich kann gerade den Bildschirm kaum erkennen vor Tränen. Danke, automatische Rechtschreibkorrektur.
Dann geht also mein Lieblingsmann mit dem fröhlichen Minisohn oben und dem toten Lieblingshund unten in den Wagen gebettet wieder nach Hause. Skurril. Dann sein Anruf bei mir, in der Mittagspause. Ich sehe mich heute noch vor der Pizzeria stehen, mit dem Handy am Ohr. Kurz meinem Kollegen und der Gruppe Bescheid gegeben, viel Mitgefühl erfahren, und dann nach Hause. Erleichtert, weil das ständige Gedankenkreisen um den richtigen Zeitpunkt aufgehört hatte. Im Tunnel und ganz starr, weil ich nicht darauf vorbereitet war, innerlich, und die Angst vor der Reaktion der Kinder war so unendlich groß.
Meine Tochter, die jetzt tatsächlich ihren Herzenshund verloren hatte, ihren Begleiter durch Kindheit und Pubertät, ihren Kuschelpartner, ihr „Emotional Support Animal“, wie sie heute unseren aktuellen Hund nennt. Ich hätte sie direkt von der Schule abholen können; die lag auf dem Heimweg. Ich habe es nicht gemacht, weil ich dachte, dass sie so wenigstens noch 3, 4 Stunden mehr hätte ohne die Gewissheit, dass Lasse tot ist. Das war ein echter Schmarrn, und sie wirft es mir noch heute vor, und ich fühle mich noch heute schlecht deswegen. Das hätte ich als Psychologin ja echt besser wissen können.
Der große Sohn, der nichtsahnend von der Schule heimgekommen ist, kurz nachdem mein Mann daheim angekommen war. Der sich gar nicht mehr an eine Zeit ohne Lasse erinnern konnte.
Der Minisohn nahm‘s recht fröhlich.
Weil mein Mann mit dem toten Hund so schnell zu Hause angekommen war, konnte er ihn noch ganz schön auf ein weiches Handtuch auf dem Sofa legen, und Lasse sah so aus, wie er immer ausgesehen hatte, während er schlief. Nur die Augen waren offen, und als ich zu Hause ankam, waren sie auch schon recht trüb. Es irritierte mich, dass sich sein Körper nicht mehr hob und senkte. Ich hatte das noch nie zuvor so gesehen.
Meine Tochter sagt heute noch, sie wusste, dass Lasse tot sein würde, wenn sie heimkommt. Ich halte das absolut für möglich, dass sie das gespürt hat.
Eine archaische Situation, wo sich Leben und Tod so nahe kommen, und wir fallen in die klassische Rollenteilung: die Männer heben das Grab aus, und die Frauen machen‘s hübsch; wir haben uns um Blumen gekümmert. Die Beerdigung war schön, irgendwie. Auch lustig, weil der Minisohn so lustig war. Und unendlich traurig. Lasse in das Grab zu legen, ihn ein letztes Mal zu berühren, liebevoll zuzudecken, Blumen überall, und dann die Erde drauf. Da drauf wieder Blumen und bemalte Steine und eine Kerze.
Heute hegen wir den Ort in unserem Garten nicht mehr als Lasses Grab – tatsächlich kam 4 Jahre später auch Hope, unser zweiter Hund dazu, aber das ist eine andere Geschichte. Sie hatte den toten Lasse auf dem Sofa nur kurz angeschnuppert und anschließend ignoriert. Aber wenn ich hinaussehe, dann sehe ich den Ort, an dem mittlerweile 2 unserer Hunde begraben sind und bin dankbar, dass wir sie irgendwie noch in der Nähe haben.
Was bleibt, ist die Frage nach dem Zeitpunkt: haben wir Lasse zu viel zugemutet? Hätten wir ihn schon Tage vorher erlösen müssen? Haben wir eventuell für uns gedacht, und nicht für ihn? Hätten wir uns nicht an den letzten Strohhalm dieser Infusion klammern sollen, sondern früher entscheiden? Haben wir uns an unserem lieben Sturkopf, der auf uns angewiesen war, schuldig gemacht, ihn verraten und noch dazu alleine gelassen, als er uns am meisten gebraucht hätte?
Ich weiß es nicht, und hinterher ist man immer schlauer. Verstehen kann man das Leben nur rückwärts, aber leben muss man es vorwärts, sagte Kierkegaard. Ich dachte immer, der Typ hat sich halt so Kalendersprüche ausgedacht, aber seit mein großer Sohn sich einem Philosophiestudium verschrieben hat, weiß ich tatsächlich, dass er deutlich mehr draufhatte, als man diesen Küchenpsychologiesprüchen zuschreiben würde.
Er hat nämlich Recht damit: wir hätten Lasse vielleicht am Tag zuvor in die Praxis bringen sollen, um ihn einschläfern zu lassen. Oder bei der letzten Infusion nicht alleine lassen dürfen, auch wenn das die Policy und der normale Ablauf in der Praxis war, vielfach richtig und berechtigt. Oder wir hätten eine andere Tierärztin / Tierarzt finden sollen, damit er zu Hause hätte einschlafen dürfen.
Ich bin mir nicht sicher, wie es wirklich für Lasse war, aber ich weiß, dass wir keine Entscheidung leichtfertig oder „einfach so“ getroffen haben. Dass wir uns sehr bemüht haben, ihn und sein Leben im Blick zu haben. Und wir sind leider überrascht worden von den Ereignissen. Wenn wir gewusst hätten, dass es seine letzte Infusion sein würde, hätten wir ihn nicht alleine gelassen. Oder er hätte sie gar nicht bekommen, sondern Streicheleinheiten bei seinen letzten Atemzügen.
Etwas haben wir daraus gelernt, nämlich haben wir uns, als klar war, dass der Abschied von unserer Dogge, Hope, anstehen würde, zusätzlich eine haustierärztliche Betreuung geholt, die auch für den letzten Besuch zu uns nach Hause kommen sollte.
Und Lasse? Der bleibt für immer unser erster Hund.

Abschied, die Zweite
Wie schon angedeutet… in dem Hundegrab in unserem Garten liegen 2 Hunde. 2017 haben wir es für unseren ersten Hund, der uns verlassen hat, angelegt. Knapp 4 Jahre später sollte unser zweiter Hund dazu kommen; auch sie starb unserer Meinung nach viel zu früh, allerdings unter etwas anderen, etwas versöhnlicheren Umständen.
Hope war eine blaue, also graue Deutsche Dogge wie aus dem Bilderbuch. Groß und wunderschön außen, und ganz besonders schön innen. Sie hat uns in der Pubertät den letzten Nerv geraubt, und wir brauchten viel professionelle Unterstützung und Training, aber sobald sie erwachsen geworden war, war sie die Unkompliziertheit in Hundeperson. Sanftmütig und liebevoll mit allen Kindern, wie eine Mama für unsere eigenen, freundlich zu Besuchern, und aufmerksam, aber nie aggressiv gegenüber allen Fremden, die unseren Hof betraten. Sie fragte eher höflich nach, ob sie in guter Absicht kamen, indem sie sich einfach mitten in den Hof stellte und abwartete, was geschah und uns mit einem kleinen „WUFF“ Bescheid gab, dass wir mal nachschauen könnten. Meistens wandten sich die Menschen ihr auch freundlich zu, aber jeder Besitzer eines großen Hundes weiß, mit vielen Vorurteilen man bezüglich Gefährlichkeit umgehen muss, die allein aus Unwissenheit über Hunde entstehen. Aber es muss ja auch nicht jede und jeder ein Hundemensch sein.
Hope jedenfalls therapierte alle unsere Nachbarn und Freunde und die meisten unserer Paketboten, die bislang mehr oder weniger ängstlich gegenüber Hunden waren. Ihr perfekter Tag bestand darin, bei offener Haustüre vor unserem Haus im Hof zu liegen, ein oder zwei Runden über das Grundstück zu flanieren, sich nach drinnen in den Schatten zurückzuziehen, und das Ganze wieder von vorne zu beginnen. Auf Gassirunden war sie eine erstaunlich beliebte Spielpartnerin für große und auch ziemlich kleine Hundekollegen. Sie war feinfühlig für unsere Emotionen in der Familie und so sensibel, dass man darauf warten konnte, dass sie nach einem Streit im Haus Durchfall bekam. Ich bin nie wieder einem Hund begegnet, der einem so lange intensiv und gleichzeitig entspannt und wissend in die Augen blicken konnte.
Ich weiß, Doggen werden nicht alt, sagte man, aber Hope kam aus einer Linie, in der die allermeisten Verwandten bei ihrer Züchterfamilie 10 Jahre und älter geworden waren. Und so freuten wir uns auch noch an ihrer guten Gesundheit, als unser Großer sich für ein High School Jahr in den USA von ihr verabschiedete, als sie 9 Jahre und 3 Monate alt war. Allerdings beschlich mich schon damals ein etwas ängstliches Gefühl, als ich diesem Abschied zusah. Ich schob es mehr auf meine Angst vor meinem eigenen Abschied von meinem damals 15Jährigen für 10 Monate – eine gefühlte Ewigkeit!
Keine 4 Wochen später – sie war ja wirklich schon eine alte Omi, die sich auch körperlich verändert hatte – gingen wir mit ihr zu unserem Tierarzt, weil ihr Bauch fest war. Sie schien keine Schmerzen zu haben. Auf dem Ultraschall sah auch ich sofort, dass da etwas war, was definitiv nicht da hingehörte – und es war richtig groß. Ein Milztumor. Und das, obwohl sie ein scheinbar entspanntes, angenehmes Leben führte, ohne für uns erkennbare Symptome einer Krankheit zu zeigen.
Das war erstmal echt ein großer Schreck. Von diesem Tag an durfte sie Sachen, die sie in ihrem ganzen Hundeleben nicht kennengelernt hatte: in einem Menschenbett zu schlafen, zum Beispiel. Denn unser Minisohn hatte zu der Zeit so ein Hausbett direkt auf dem Boden. Das hat sie wie selbstverständlich noch am selben Abend geentert, während wir mit dem Kleinen in seinem Zimmer spielten. Siebter Sinn..?
Für uns stand fest, dass sie auch so entspannt wie möglich ihren letzten Weg gehen sollte. Die Prognose lag bei etwa 4 Wochen. Für diese Zeit entschieden wir uns für die Begleitung durch eine Haustierärztin, die mit einer mobilen Praxis Hausbesuche anbot. Hope und wir lernten sie sehr bald zu Hause kennen, und sie begann eine homöopathische Behandlung zur Stärkung. Ob es der zu verdanken war oder nicht – auf jeden Fall verbrachten wir noch ganze 4 Monate mit unserer Traumhündin, in denen es ihr bis auf 2 Mal 2 Tage richtig gut ging. Die ersten 2 Tage waren recht bald, so etwa 4-6 Wochen nach Diagnosestellung. Ihr war übel, sie speichelte und schluckte viel und mochte nicht so recht aufstehen. An diesem zweiten Tag waren wir mit der Ärztin und untereinander überein gekommen, dass der nächste Tag „der Tag“ werden würde, wenn es ihr da nicht besser ging. Über Nacht jedoch war sie wieder fast wie neu und freute sich über alles wie eh und je.
Die zweiten 2 Tage waren fast auf den Tag 4 Monate nach der Nachricht, dass sie ggfs. noch etwa 4 Wochen zu leben hätte. Es war Coronazeit, alle bis auf unseren Weltentdeckersohn in den USA waren zu Hause. Wieder zeigte sie deutliche Anzeichen von Übelkeit und Unwohlsein, vermutlich hatte sie auch Schmerzen. Sie raffte sich auf, um ihre Runden über die große Wiese zu drehen, aber legte sich dann auch mit einem Seufzen wieder in eines ihrer 2 Betten im Wohnzimmer. Der nächste Morgen hielt eine Überraschung für uns bereit: sie hatte in der Nacht offenbar etwas Blut erbrochen; eines der todsicheren Symptome für die Endphase, auf das wir gewartet hatten.
Ich rief gleich bei unserer Ärztin an, um sie um ihren finalen Besuch zu bitten, erreichte aber nur die Mailbox. Ich war aufgeregt und hatte Angst, aber gemeinsam konnten mein Mann, meine da schon Veti-Tochter und unser Kindergartenmini und ich guten Gewissens sagen, dass es nun gut war. Hope stand nochmals auf, um ihre Runde zu drehen; nach ihrem Frühstück jedoch hat sie nicht mehr verlangt. Ganz erschöpft ließ sie sich in ihr Viscobett fallen, als sie wieder drinnen war; sie atmete schwer. Meine Veti-Tochter und ich waren bei ihr, mein Mann im Büro und der Mini in seinem Zimmer. Die Ärztin hatte sich in der Zwischenzeit gemeldet; sie hing mit ihrem Kind beim Kinderarzt fest, wollte aber kommen, sobald sie aus der Praxis draußen waren. Nach einer ganzen Weile schließlich stand Hope auf und wechselte ein paar Schritte hinüber in ihr anderes Bett, das ganz dick mit Dinkelspreu gefüllt war. Da ließ sie sich reinsinken und kam sichtlich zur Ruhe. Veti-Tochter saß neben ihr auf dem Boden, ich am Tisch, und plötzlich begann Hope sehr laut und tief zu atmen. Meine Tochter und ich sahen uns an, und es war uns sofort klar, dass sie dabei war, zu sterben.
Ich schrie voller Panik nach meinem Mann, und er und unser Mini kamen blitzschnell angelaufen, weil sie wohl beide intuitiv verstanden hatten, was Sache war. Mini und ich hockten uns gemeinsam auf eine Seite des Bettes quasi hinter Hopes Rücken, er auf meinem Schoß; Veti-Tochter und Lieblingsmann auf der anderen Seite von ihr. Alle 4 streichelten wir sie und sagten ihr, dass alles gut ist. Sie atmete noch ein paar Mal deutlich ein und aus, holte noch einmal ganz tief Luft, und dann wurde sie still.
Es gibt doch diesen Spruch „und die Welt hielt ihren Atem an…“. Genau so hat es sich für mich angefühlt. Meine liebe, treue Hope, mein Herzenshund, meine Beschützerin und meine Sicherheit, hatte auch den Atem angehalten. Um unserem Mini zu zeigen, dass sie wirklich tot war, hielt ich ihr einen kleinen Weihnachtsengel aus Federn, den wir kurz zuvor gebastelt hatten, vor Nase und Maul – sein Glöckchen hatte sonst bei jedem Lufthauch leise geklingelt, doch nun war nichts zu hören, und die Federn tanzten nicht mehr.
So würdevoll, stark und sanft, wie Hope ihr Leben gelebt hatte, so ist sie auch gestorben. Selbstbestimmt, und sie hat uns eingeladen, dabei zu sein. Ich will sie nicht vermenschlichen, aber sie schien irgendwie okay mit dem Ganzen zu sein. Wir hatten nicht das Gefühl, dass sie verzweifelt gekämpft hätte, um am Leben zu bleiben, aber auch nicht, dass sie sich depressiv einem Schicksal ergeben hätte, das sie niedergedrückt hätte. Ehrlich gesagt: ich mache ja schon seit vielen Jahren Sterbebegleitung von Menschen, und sie genau dem ein Stückchen näher zu bringen, dass sie ihren Frieden machen mit ihrem Leben und ihrem Sterben ist mein großes Ziel hierbei – und wenn es gelingt, macht es mich unglaublich dankbar. Hope konnte es einfach von allein.
Wir saßen noch lange gemeinsam um Hope herum, streichelten sie, weinten und redeten miteinander. Wir hatten ein Fenster geöffnet und eine Kerze angezündet, und irgendwann wollte unser Mini seinen Freund nebenan besuchen, um zu spielen, und das war sehr okay so. Passenderweise haben sie dann dort gemeinsam mit Salzteig gebastelt, und Mini hat schöne Herzen ausgestochen und bemalt und beglitzert und Hope, die noch mehrere Stunden in ihrem Bett lag, dann damit „dekoriert“.
Es war gut und auch schön, sie noch länger bei uns zu haben. So wurde es für uns alle begreifbar, dass sie wirklich tot war. Nach ein paar Stunden schien es auch nur noch ihr Körper gewesen zu sein, der da in seinem Bett lag… das Beseelte war wie verflogen.
Ich hatte auch noch unsere Ärztin angerufen um ihr zu sagen, dass sie nicht mehr zu kommen brauche. Ich glaube, es tat ihr leid, aber irgendwie war es echt okay so.
Irgendwann am frühen Abend hat mein Lieblingsmann sie dann gemeinsam mit einem Freund in den Kofferraum gehoben – 55kg wollen ja irgendwie bewegt werden – und sie zum Krematorium gebracht. Wir hatten uns für eine Einzelkremierung entschieden und ihre Überreste (es ist übrigens nicht wirklich Asche, sondern viele Knochensplitterchen und so… auf jeden Fall eine ganze Menge) dann aufgehoben, bis unser High School-Absolvent einige Monate später nach Hause kam. Alle gemeinsam haben wir sie dann bei ihrem Freund, der knappe 4 Jahre zuvor gestorben war, beerdigt.
Es gäbe noch so viele Dinge zu erzählen: wie hat das unser Mini verkraftet, wie haben wir ihn darauf vorbereitet, wie sind wir als Familie mit der todkranken Hope und unserem Schmerz und dem bevorstehenden Abschied umgegangen, wie war es für unseren Großen, der so weit weg war, als seine treue Freundin und Begleiterin seit Kindesbeinen starb.
Vielleicht einmal in einem der nächsten Beiträge… bis dahin: wie ist es denn bei dir? Hast du bereits ein Tier verloren? Unter welchen Umständen ist das passiert, und wie kamst und kommst du damit klar?
Schreib mir gerne, hier in den Kommentaren, oder gerne auch deine ganze Geschichte über das Antwortformular. Ich freue mich, wenn ich deine Geschichte hier erzählen darf!